Historisches Stadtmodell wurde auf dem Markt aufgestellt

Die Gemeinde Uedem – und damit wir alle – sind nun um eine historisch-touristische Attraktion reicher. Und zwar eine, die auch für seh- und gehbehinderte Menschen erfahrbar ist. Das bronzene Tastmodell auf unserem Marktplatz bildet alle Gebäude der Uedemer Altstadt ab und ermöglicht es Touristen wie Einheimischen, unseren Heimatort auf eine neue Weise mit den Händen zu erleben…

Es ist ein Modell im Maßstab 1:375 und wir danke allen Beteiligten für die großartige Arbeit.

Geschichte – das ist, ganz allgemein gesprochen, die Rekonstruktion der Vergangenheit. Für diese Rekonstruktion bedienen sich vor allem Historiker an historischen Quellen wie z.B. alten Texten, Zeichnungen, oder archäologischen Funden. Je nach Quellenlage kann die Vergangenheit so Stück für Stück wie ein Puzzle zusammengesetzt werden – in der Hoffnung ein klares Bild zu erhalten.

Viele Städte und Dörfer in Deutschland verfügen über eine weitgehende, historische Bausubstanz. Auf Uedem trifft das leider nicht zu. Ein großer Teil des „Alten Uedem“ ist heute nicht mehr vorhanden. Detaillierte Abbildungen oder genaue historische Aufnahmen gibt es nicht oder nicht mehr.

 Wie also war es uns möglich, das Alte Uedem von 1700 zu rekonstruieren?  Die Antwort ist leicht: Auch wir – das heißt in erster Linie der Leiter der Geschichtskreisgruppe Guido Cladder und der Gemeindearchivar Franz-Josef Hetjens –  haben gepuzzelt. Der Weg dahin war allerdings mühsam.

Das erste Puzzle-Teil für die Wiederherstellung war das historische Stadtmodell von Franz Zaunmüller, das in der Hohen Mühle steht. Das Modell wurde zum Stadtjubiläum 1994 aus Holz angefertigt und soll Uedem im Jahre 1650 abbilden. Ein weiteres Modell der Uedemer Altstadt ist heute noch auf Burg Linn bei Krefeld zu finden. Doch so wie das neue Bronzemodell basieren sowohl das Zaunmüller’sche Holzmodell als auch das Modell in Krefeld auf vielen Annahmen.

Weitere Stützen – oder wenn Sie so wollen Puzzle-Teile – für unser neues Modell waren alte Skizzen, Zeichnungen und Stiche, die niederländische und deutsche Künstler im 17. und dem 18. Jahrhundert angefertigt haben. Zu den bekannteren gehören die Stiche und Zeichnungen nach Vorlagen von Jan de Beyer. Auf ihnen sind das Viehtor, das Lohtor, der Marktplatz und das Mostertor um 1740/50 abgebildet.

Die Uedemer Stadtmauer war etwa 1200 Meter lang. Sie war mit einigen Türmen und vor allem mit vier Toren an den Ausfallstraßen gesichert. Die Tore waren sogenannte Doppeltoranlagen mit Haupttor, Zwingerbereich und Vorwerk/-tor sowie Rundtürmen. Ihre Ausmaße entsprachen in etwa denen des Klever Tors in Xanten. Dank der Stiche nach Jan de Beyer konnten wir also die drei Stadttore, das Rathaus, die Klöster, der Schlüterturm und die katholische Kirche für unser Stadtmodell rekonstruieren.

Der Uedemer Stadtgraben war bis zu 15 Meter breit. Bereits in der ersten Hälfte des 17. Jhdts. schütteten die Uedemer die Gräben zu, um die Fläche in Nutzgärten umzuwandeln. Ein Tümpelbereich existierte allerdings noch gemäß einer Darstellung von 1744 am Lohtor. An der Nord-Westseite des Ortskerns war der Graben um 1830  (rechts der Viehstraße mit Kindergartengelände) ebenso noch vorhanden. Doch verfüllte man die Fläche aus gesundheitspolizeilichen Gründen im Zuge der Cholera-Bedrohung des Jahres 1835 in Gänze und verkaufte sie.

Andere Stiche von 1744 und 1776 zeigen Ansichten der Silhouette der klevischen Stadt Uedem. Allerdings in einem äußerst kleinen Maßstab.

Ein großer Teil der Arbeit zur historischen Ansicht um 1700 bestand in der Wiederherstellung der weniger „bedeutenden“ Gebäude und Straßen in Uedem. Hier haben Guido Cladder und Franz-Josef Hetjens mühevolle Kleinarbeit geleistet. Das nächste Puzzle-Teil bestand in einer Federzeichnung von Hendrik Feltmann, der im 17. Jahrhundert lebte. Im Jahr 1653 fertigte er eine sehr bekannte Ansicht der Stadt Kleve an. Da er auch die Stadt Uedem in einem sehr ähnlichen Stil malte, konnten wir Feltmanns Uedem-Ansicht also auch in die Zeit einordnen und als Quelle verwenden. In Feltmanns Ansicht ist die Stadt aus nordwestlicher Perspektive dargestellt. Die Panoramadarstellung zeigt links die Hohe Mühle. An der Nordostecke der Stadtmauer befindet sich ein massiver Turm (Schlüterei), rechts davon die Nordseite des Stadtwalles mit dem Viehtor und der Pfarrkirche. Im letzten Jahr ist das Buch „Uedem – eine kleine Stadt im Klever Herzogtum“ zur Stadtgeschichte Uedems erschienen, in dem das Bild abgedruckt ist.

Die ältesten erhaltenen Planansichten des Uedemer Straßennetzes stammen aus den Jahren 1806, die Zeit der französischen Besatzung, und 1831, als Uedem zu Preußen gehörte. Die dort kartierten Straßen existieren weitestgehend auch heute noch. Dank der Planansicht und alter Urkunden konnten wir also das Straßennetz von heute auch für das Bronzemodell annehmen. Ein weiteres Puzzle-Teil, das uns in der weiteren Arbeit viel Orientierung verschafft hat.

Zu jeder Straße haben die Herren Cladder und Hetjens mit ihrem geschichtlichen Forschergeschick die vorhandenen Quellen bearbeitet und anhand von Unterlagen und Bildern eine mögliche Bebauung ermittelt.

Einige weitere Erkenntnisse, die das Rechercheteam machte:

  • Sie lokalisierten den Adelssitz Haus Egeren der Familie von Hertefeld in der Nähe des Mostertores und konnten seine Ausmaße darstellen.
  • Sie entdeckten ein dreistöckiges Gebäude mit Treppengiebel mitten am heutigen Burgwall und rekonstruierten den Gebäudekomplex des Sitzes des landesherrlichen Rentmeisters an der Nordwestecke der Stadtbewehrung.
  • Der Gebäudeanlage des Augustinerchorherrenstiftes St. Spiritus wurde neu erfasst: Demnach lagen die beiden Türme der Klosterkirche in Richtung Osten. Zudem gab es einen zweiten langgestreckten Gebäudestrang (Refektorium) mit samt eines Verbindungsganges zur Klosterkirche.
  • Der städtische Armenhof am Armensteeg, heute Augustinerstraße wurde in seinen Ausmaßen erstmals festgehalten.
  • Das Kirchengebäude der Uedemer Reformierten wurde mit einem Dachreiter versehen.
  • Insgesamt charakteristisch für das Stadtgebiet sind die vielen Innenmauern.  
  • Um 1700 lebten gut 1.000 Menschen in Uedem.
  • Ca. 30 Landwirte bestellten die umliegenden Bauernhöfe, daher waren auch für die Tierhaltung viele Innenmauern notwendig.
  • Um die Kirche herum lag früher der Friedhof.

Selbstverständlich kann es sein, dass demnächst neuere Erkenntnisse gewonnen werden, die unsere Nachforschungen ergänzen oder widerlegen – denn wie gesagt: Wir konnten lediglich rekonstruieren und darauf aufbauend Annahmen entwickeln. Aber gerade das ist ja das Spannende in Fragen der Vergangenheit und historischen Ermittlungen.